Gerade eben habe ich einen Kommentar freigeschaltet, in dem angeregt wird, den Deutschen Rollenspielpreis eine Kategorie für Übersetzungen zu geben. Das ist in der Tat eine interessante Idee, über die wir uns auch schon Gedanken gemacht haben.
Das Kernargument für eine solche Kategorie liegt darin, dass man andere Kriterien anlegen könnte, etwa die „Qualität der Übersetzung“. Zudem würde die Shortlist freier für die im deutschsprachigen Raum entwickelten Spiele – wie der Kommentator anmerkt, haben die es ohnehin schon besonders schwer, Aufmerksamkeit zu erregen. Nehmen wir Lite von jcgames, dass ich hier nennen darf, da Jürgen seine Nominierung öffentlich gemacht hat: Er hat (was für ihn als Selbstverlag eine Menge Geld kostet) sieben Druckexemplare hergegeben und nicht mal die Werbewirkung der Shortlist erzielt. Das ist extrem ärgerlich für Jürgen und geht für mich auch am Zweck des Preises vorbei; ich will ja, dass Rollenspiele Aufmerksamkeit erhalten. Insofern spricht einiges für eine eigene Kategorie.
Warum gibt es die dann nicht schon lange?
Zum Einen liegt das an dem Output der Szene. Ich habe relativ wenig Zweifel daran, dass es jedes Jahr mindestens drei Übersetzungen von Grundregelwerken gibt. Aber auch drei deutschsprachig entwickelte GRWs? Und selbst wenn es die gibt: Nominert der Verlag das Regelwerk überhaupt? Ich möchte nicht an den Punkt kommen, wo ein Spiel eine Kategorie gewinnt, weil es die einzige Nominierung ist.
Zum Anderen erinnert mich die Aufteilung in Deutschsprachige/Übersetzte Werke an den Oskar, wo es die Trostpreiskategorie „Bester fremdsprachlicher Film“ gibt, wo auch Leute einen Oskar bekommen können, die auf „Bester Film“ keine Chance hätten. Das haben wir nicht nötig. Meines Erachtens (und die Shortlists der vergangenen Jahre beweisen dass auch) ist der Stand der Entwicklung in Deutschland und Österreich (aus der Schweiz hatten wir noch keine Nominierung) so hoch, dass wir ohne weiteres mit den großen Reihen aus dem Ausland mithalten können. Es gibt keinen vergleichbaren Qualitätsunterschied, der eine Differenzierung nötig machen würde. Bei den Oskars werden für die Kategorie „Bester fremdsprachlicher Film“ in der Regel Werke nominiert, die nur einen Bruchteil des Geldes gekostet haben, dass ein amerikanischer Mainstream-Blockbuster ausgeben kann. Da wäre ein Vergleich vielleicht auch wirklich unfair, wenn man einen Film aus der Mongolei, der nicht mal eine Viertelmillion Dollar gekostet hat, mit Fluch der Karibik (341,8 Mio. US-$) vergleicht. Aber diese Unterschiede in Sachen Kapitaleinsatz gibt es in der Rollenspielbranche nicht oder nicht mehr.
Indie-Preis?
Wäre es dann nicht sinnvoller, einen Unterpreis für Indie-Produktionen zu schaffen? Das wäre vielleicht fair, wenn man Rollenspiele, die von einem Verlag wie Ulisses, Uhrwerk oder Pegasus stammen, nicht mit jcgames Rollenspielen vergleicht, die dieser – neben einem Hauptjob – in seiner Freizeit nicht nur schreibt, sondern auch noch verlegt? Klingt erstmal fair, aber…
Was packen wir in diese Kategorie? Was ist Indie überhaupt? Dogs in the Vineyard (war definitiv ein Indie) ist auf deutsch als Luxusprodukt „Hunde im Garten des Herren“ für viel Geld bei Deutschlands größtem Rollenspielverlag herausgekommen. Bleibt es Indie? Ist „Los Muertos“ ein Indie? Geschrieben hat es Andre (wenn ich richtig informiert bin, ziemlich alleine), herausgekommen ist es bei Prometheus. Überhaupt – ist Prometheus vielleicht ein Indieverlag? Wann ist man kein „Indie“ mehr: Wenn man (Fest-)Angestellte hat? Wenn man ein eigenes Büro hat? Wenn man mehrere Produktlinien hat? Ab einem bestimmten Umsatz? Da komme ich in Teufels Küche, wenn ich versuche, den Begriff „Indie“ festzulegen, denn einige der Kriterien würden auch Jürgen aus der Indie-Ecke verdrängen – er hat mehrere Produktlinien und ist auch sonst verdammt professionell in dem, was er tut – wieviele Rollenspiele haben schon eine App?
Außerdem bleibt: Sind jcgames Rollenspiele (oder die von Markus von Ludus Leonis, der mit NIP’AJIN) schlechter als andere? Markus hat dieses Jahr den DRP gewonnen. Das spricht dafür, dass er sich mit den Anderen locker messen kann, denn umgekehrt sind Produkte großer Verlage an der Hürde „Shortlist“ schon gescheitert. Und Lite spielt definitiv in der gleichen Liga – gerade weil es etwas konservativer als Turbo-Fate ist, aber die gleichen Vorteile verspricht /“einfach, schnell und erzählerisch“) hätte es bei einer anderen Jury Turbo-Fate m.E. schlagen können. Nischenschutz brauchen die beiden jedenfalls nicht. Und weitere Kandidaten für „echte“ Indies aus dem deutschsprachigen Raum fallen mir jetzt nicht ein. Zu wenige also für eine Kategorie.
Evergreen: PDFs
Wenn man hingegen PDFs zulassen würde, ja dann – wären die Kategorien vielleicht sinnvoll? Es gäbe mehr Produkte und die Nominierungshürde von sieben Büchern würde entfallen, also wären auch mehr Nominierungen zu erwarten.
PDFs sind aber schwierig, aus verschiedenen Gründen. Ganz praktisch besteht in der Hürde „7 Printexemplare“ auch eine Vorauswahl – der Nominierende muss schon recht überzeugt von seinem Werk sein, um die Kosten zu stemmen. Ein PDF zu erzeugen ist hingegen wirklich einfach, selbst kostenlose Textverarbeitungsprogramme können das einfach so. Wer in den Druck investiert (vor allem, wenn er nicht selbst der Autor ist) investiert in der Regel auch in Lektorat, Korrektorat und Layout. Ein Blick in rpgnow zeigt uns, dass das für pdf-only nicht gilt. Es gibt wirklich erbärmlich aussehende Sachen, die dort zu haben sind. Natürlich auch tolle, keine Frage! Aber es gibt eben keine Vorauswahl mehr. Wenn ich mir aber den ohnehin schon epischen Papierstapel ansehe, den die Jury durchsehen, kritisch lesen und am besten Probespielen muss – dann will ich doch gar nicht noch mehr Nominierungen! Tatsächlich denke ich eher darüber nach, die Nominierung auf ein Produkt pro Verlag und Kategorie zu beschränken.
Drüben bei Seraph (Disclaimer: Christoph Hardebusch, DRP-Juror 2016, sitzt dort im Beirat. Meine Lebensgefährtin war letztes Jahr Jurorin) lässt man Printbücher ohne Vorprüfung zu, ebooks (egal welches Format) werden vorselektiert. Dazu lesen mehrere Leute aus der Orga die ebooks an und schmeißen raus, was offensichtlich Mist ist. Um das fair zu halten, wird jedes Ebook parallel von drei Leuten (an-)gelesen. Das ist ein absurd aufwändiges Verfahren, das schon bei Büchern kaum zu stemmen ist. Bei Spielen ist es aber noch schwieriger: Was ist, wenn die Regeln toll sind, aber schlecht erklärt? Ein Roman kann nicht gut sein, wenn der Autor nicht gut schreiben kann – selbst wenn die Handlung grandios ist. Ein Rollenspiel kann hingegen großartig sein, auch wenn das Regelwerk Mist ist – oder? Selbst mein Lieblingsrollenspiel Fate schafft es kaum, sich zu erklären: Zu sehr weicht es von der Erwartungshaltung der Rollenspieler ab. Klar wird das Regelwerk erst, wenn man es schon verstanden hat: Ein Branchenproblem, denn ich kenne auch keinen Text, der „klassisches“ Rollenspiel so erklärt, dass man Rollenspiel verstanden hat, wenn man ihn liest.
Hätte Turbo-Fate (dieses Jahr auf der Shortlist) es überhaupt als PDF bis zur Jury geschafft? Oder wählt man dann noch mehr nach optischer Opulenz aus? Kann man noch würdigen, was dieser 237ste OSR-Klon anders macht, und wie kunstvoll er das Layout der End-70er aufgreift?
Der Deutsche Rollenspielpreis will auch eine Kaufempfehlung sein. Daher gehört Zugänglichkeit mit zu den Kriterien. Deshalb bleiben wir zunächst dabei, dass ein Werk nur dann nominierbar ist, wenn es zumindest theoretisch über den Fach- und am besten auch über den Buchhandel beziehbar ist. Denn wer seine Kaufentscheidung nach einem solchen Gütesiegel richtet, der ist kein Brancheninsider. Es soll nicht so sein, dass man dann doch auf den Kauf verzichtet, weil ein PDF nur im Verlagsshop oder nur bei rpgnow zu haben ist – und man das so ohne weiteres nicht herausfinden kann.