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Deutscher Rollenspielpreis 2014

Interview mit Juror Dirk Remmecke

Auch Dirk Remmecke habe ich die gleichen Fragen gestellt, wie schon Carsten. Er hat aber einen ganz anderen Ansatz, auf Rollenspiele zu blicken als Carsten.

Hallo Dirk, vielen Dank, dass du dir die Zeit genommen hast, die Fragen der Community zu den Juroren des DRP zu beantworten. Fangen wir ganz einfach damit an, dass du dich vorstellst:

Ich bin Dirk Remmecke, und darf mich mit meinen 47 Jahren wohl bestenfalls noch geistig jung nennen. Manche kennen mich vielleicht besser als „Dirk vom Laden“, was mein langjähriger Usenet-Handle war, oder als sporadischer Blogger „Mondbuchstaben„. Wenn ich in der deutschen RPG-Szene Spuren hinterlassen habe, dann als Mitgründer von H spielt!, und als „Entdecker“ des Films Astrópía, für dessen deutsche (und indirekt auch französische) Ausgabe ich verantwortlich war. Hin und wieder juckt es mich, Artikel und Rezensionen für Magazine zu schreiben, früher Nautilus und Kartefakt, zuletzt das französische Magazin di6dent.

Ich bin seit 30 Jahren Rollenspieler. In der Zeit habe ich eine Odyssee durch alle Spielstile gemacht, von (in dieser Reihenfolge) railroadigem Erzählspiel über „realistische“ Simulation, „Hartwurst“-Sandbox, regelarme Abstraktion, würfelloses Ressource Management, Dungeoneering und Storygames. Ich glaube, das einzige, was ich nie gespielt habe, ist Freeform.

Als Fazit dieser Rundreise spiele ich jetzt bevorzugt „explorative Kampagnen“ in einer „räumlich und thematisch begrenzten Sandbox,“ mit eher minimalistischen „Rulings not Rules“-Regeln, wenn das Sinn ergibt. Das Stichwort „World in Motion“ gehört auch noch mit da rein. Ich bin heute also bei den Wurzeln des Hobbys angekommen; einem Old-School-Stil, dem ich aber gänzlich unnostalgisch anhänge, weil er sich mir erst nach ausgiebiger Beschäftigung mit der rollenspielerischen Avantgarde erschlossen hat. Was durchaus eine Ironie des Schicksals ist, denn das ist der Spielstil, den man mit dem System verbindet, mit dem ich angefangen habe – der „Roten Box“ von D&D (also Mentzer Basic). Aber „leider“ hat mich Dragonlance sofort gepackt und geprägt, im Guten wie im Schlechten. Am häufigsten gespielt habe ich Midgard (2e+3e), AD&D (1e), RuneQuest (extrem verhausregelt), Warhammer FRP (1e) und ein Dutzend Eigenbauten, in dieser Reihenfolge. Mein Lieblingsgenre ist eine klassische Fantasy irgendwo zwischen Leibers Lankhmar, Beagles namenloser Welt des Letzten Einhorns, Tolkiens Mittelerde und Sherwood Forest in der Interpretation von Richard „Catweazle“ Carpenter.

Was kann ich in eine Jury einbringen? Ich habe über 10 Jahre hinter der Ladenkasse eines Spieleladens gestanden, was den Blick auf Spiele enorm schult. Man lernt, Innovationen und Qualitäten zu erkennen und sogar zu bewundern, die einen privat überhaupt nicht interessieren. In einer Welt, in der Fans des gleichen Hobbys sich in dogmatische Grabenkämpfe verstricken, bin ich vermutlich ein Paradiesvogel. Ich kann auch Spiele rasend toll finden, die mir ums Verrecken nicht auf den eigenen Spieltisch kommen…

Wie oft kommst du tatsächlich zum Spielen?

Nicht annähernd so oft, wie ich gerne würde!

Für mich ist die Stärke des Rollenspiels, sozusagen sein „USP“, das Kampagnenformat – die offene Struktur, die Fortsetzung, die gemeinsam über einen langen Zeitraum entwickelten Charaktere und Beziehungen, untereinander und zum Setting. Das, was diese Spielform einzigartig macht, beginnt für mich leider erst nach drei oder vier Sessions, wenn die Spieler anfangen, sich in der erspielten Welt zuhause zu fühlen, und nicht nur, weil sie ein liebgewonnenes Franchise ist – Star Wars, Star Trek, Mittelerde – , sondern weil sie durch reale Erinnerungen an gespielte Erlebnisse geeint werden.

Diese Form verlangt nach einem festen Terminplan, der sich mit einem Beruf, der flexible Arbeitszeiten erfordert, nur schwer umsetzen lässt. Ich betreue Messen und Conventions und bin an vielen Wochenenden, meinem bevorzugten Spieltermin, unterwegs. Deshalb bin ich gezwungen, mich mit One-Shots und Con-Runden zu begnügen. Im letzten Jahr waren das u.a. DSA 1, Swords & Wizardry, Pathfinder Beginner, Midgard für Einsteiger – alles Spiele, die überschaubare Regeln haben und mit denen man schnell losspielen kann.

Wie aktiv verfolgst du deutsche / internationale Entwicklungen der Rollenspielszene?

Wenn du mit „Szene“ die Befindlichkeiten der Spielerschaft meinst: so gut wie gar nicht mehr. Ich habe etwa 8 Jahre lang in diversen Foren mitgewirkt und den Erfahrungsaustausch genossen. Das wurde dann langsam weniger und ohne es zu wollen (und eigentlich auch ohne es zu merken) bin ich 2011 quasi von einem Tag auf den anderen ganz verschwunden – berufliche Sachzwänge.

Wenn du jedoch die Beobachtung des Marktes, neue Produkte oder Trends meinst, die verfolge ich wieder (nach etwa eineinhalb Jahren Manga-Zwangspause) mit dem gleichen Interesse. Ich schreibe bloß nicht mehr darüber, weil es eigentlich nicht mehr nötig ist. Jeder, der sich wirklich für die Szene oder den Markt interessiert, kommt heute in dem gleichen Tempo an die gleichen Infos und Gerüchte.

Darüber hinaus hat mir meine Bewunderung für die französische Szene eine gewisse Berüchtigung eingebracht, die beobachte ich nach wie vor aus den Augenwinkeln, und dank meines Berufes erhalte ich heute auch Einblicke in die japanische Szene, die nochmal völlig anders ist.

Welches Setting/System/Abenteuer wolltest Du schon immer mal spielen, bist aber noch nicht dazu gekommen, und was ist daran toll für Dich?

Ars Magica, Nephilim und Tribe 8.
Alles drei Spiele, die überhaupt nur in der Kampagnenform zum Blühen gelangen können.

Und was ich auch mal gerne machen würde, ist eine lange Kampagne mit einem Trait-basierten System zu spielen, sowas wie Over the Edge oder Reimer Behrends‘ Inter Alia/THEMA. Ich weiß, dass diese Systeme in der kurzen Form ganz hervorragend funktionieren, besonders wenn sie in einem Genre oder Setting angesiedelt sind, von dem alle Spieler eine klare Vorstellung haben. Aber es reizt mich zu sehen, wie sich diese Systeme in einer 3-jährigen Kampagne verhalten, wie die Spieler damit umgehen, dass es kaum Veränderungen in den Spielwerten gibt oder die Veränderungen von anderer Natur sind als bei einem feiner skalierten Skill-basierten System.

Welche Jugendliebe bespielst Du jetzt gar nicht mehr?

Ich müsste wohl D&D sagen, aber tatsächlich spiele ich mit meinem verhausregelten Swords & Wizardry viel mehr das D&D, das ich mir in den 80ern wünschte. Und bis vor drei Monaten hätte ich Midgard sagen müssen, aber selbst das habe ich kürzlich wieder hervorgekramt.

Warhammer FRP 1 und Dragon Warriors sind zwei Systeme, die ich wahrscheinlich nie wieder spielen werde, die aber große Jugendlieben sind, obwohl ich sie nur kurz gespielt habe. Aber sie strahlen in alles aus, was ich mache – auch ohne sie aktiv zu spielen.

Unabhängig von den diesjährigen Produkten? Was ist in deinen Augen das beste und wirklich beste, allerallerbeste Regelwerk auf dem Markt?

Das ist eine schwierige Frage!

Ich spiele meine (derzeitigen!) Lieblingsspiele ehrlich gesagt trotz ihrer Regeln, nicht wegen ihnen. Allen voran das schon erwähnte Swords & Wizardry. Das ist bestimmt nicht das allerallerbeste Regelwerk, aber wenn ich eines in meiner Odysse durch die Systeme gelernt habe, dann dass ein mathematisch-elegantes Regeldesign unendlich schön und ästhetisch sein kann, mir am Spieltisch aber förmlich durch die Finger rinnt. Vielleicht gerade weil es keine Ecken und Kanten mehr hat.

Das beste Regelwerk gibt für mich (noch?) nicht. Ich sehe nur Facetten in vielen Spielen: Lamentations of the Flame Princess ist von der Schreibe und der Didaktik das allerbeste Einsteigersystem, wenn es nur nicht dieses FSK18-Thema hätte…

Warhammer FRP 1 ist als physisches Artefakt mein heiliger Gral. Mit der Erstauflage des Hardcovers hat GW wirklich alles richtig gemacht, das komplette Spiel in einem Buch, keine Supplements nötig; Papier, Grafik und Setting aus einem Guss – wenn es nur nicht diese abgeschmackte Old World wäre…

Te Deum Pour Un Massacre hat ein fantastisches Life-Path-Erschaffungssystem und eine kongeniale  Buchgestaltung – aber leider reizt mich Rollenspiel rund um die Bartholomäusnacht gar nicht…

Rêve de Dragon hat eine vorbildliche Aufteilung der Regeln, ein Muster des Rollenspiellayouts – wenn nur  das System dahinter nicht so staubtrocken erbsenzählerisch wäre, geradezu die Antithese zu dem buchstäblich traumhaften, unwirklichen Setting…

Und vom System her?

Advanced TWERPS, wenn es das geben würde, wäre das allerallerbeste Regelwerk auf dem Markt!

Wirst du alle Spiele spielen, die nominiert sind?

Ganz klar, nein. Da muss ich erst andere Spiele und Settings von meiner Wunschliste abhaken. Aber 2 der Spiele habe ich schon gespielt, bevor sie nominiert waren. Das zählt vielleicht auch schon.

Als dich Karsten gebeten hat, in der Jury mitzumachen: Was hast du gehofft, dass der DRP erreichen kann?

Im Vorfeld habe ich oft die Hoffnung gehört, dass der DRP zu so etwas wie dem Spiel des Jahres wird, aber das halte ich für unerfüllbares Wunschdenken. Das Spiel des Jahres ist so „mächtig“, dass es Bestseller generiert, vergleichbar nur dem Literarischen Quartett oder neuerdings Dennis Schecks Bestseller-Rampe.

Es wird nie so sein, dass „Das Schwarze Dungeon 6. Edition“ wegen eines Preises seine Auflage verdoppeln kann – weder wird ein Rollenspielpreis diese Strahlkraft in den Mainstream entwickeln, noch wird er die Kraft haben, die Spieler von „Augen & Dragons“ dazu zu bringen, etwas anderes auszuprobieren.

Wenn der DRP allerdings von den Verlagen und Machern als Würdigung ihrer Arbeit, und als Ansporn, beständig die Grenzen des Mediums zu erweitern, angenommen wird, hat er sein Ziel erreicht!

Vielen Dank!

 

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